im kontext von raum, bau und stadt

>Parisienne verte 2012

Installationen; Licht/Schatten, Glühbirne, diverse Spiegel, Pappen; Wand/Boden, Tondo, PVC; Verte, Inkjetprint; Chewing-gum; Parisienne verte, Zigarettenschachtel; Fahrradrad, Schloß; Poller; Galerie Vincenz Sala 52, Rue Notre Dame de Nazareth, 75003 Paris, 16.6.-26.7.2012, Fotos & Videointerview Anette Krischer & Lauren Early

Fritz Balthaus: Parisienne verte 2012

>Fritz Balthaus bei Vincenz Sala, Paris

 

Bereits auf der Einladungskarte zur Ausstellung von Fritz Balthaus ist ein typischer Kurzschluß zu sehen. Die Aufnahme zeigt den Blitz-Akku des Fotografen David Janecek. Sigmar Polke hatte das Aufladegerät seines Fotografen 1997 in einer Übersprungshandlung signiert. Die Künstlersignatur schließt den Strom- und Urheberkreislauf symbolisch kurz und zeigt dabei störungsfrei, wie die rekursiven Wertschöpfungsrelais‘ des Kunstbetriebs arbeiten, Wert akkummulieren. Da beide Systeme, das schriftliche und das elektrische, keine wirklichen Berührungspunkte haben und sich nur in der Kunstinterpretation selbst begegnen, schlagen sie dort Funken, ohne das tatsächlich Sicherungen herausspringen um das System zu schützen.

 

Im ersten Stock der Galerie wurde eine raumbezügliche Lichtinstallation eingerichtet, im straßenseitigen Galerieraum situativ veränderte Galerieinterieurs selbst zu Kunstwerken gemacht und die Grenze zwischen Galerieinterieur und Straßenexterieur aufgehoben. Weitere „court-circuits“ nehmen in dieser Ausstellung der Pariser Galerie Vincenz Sala Formen an.

 

Zu Beispiel im oberen Raum der Galerie. Dort hängt eine brennende 100W Glühbirne von der Decke, um die herum Spiegel und Pappen in einer zwingenden Situation angeordnet sind. Deren Größen, Positionen und Abstandsverhältnisse erzeugen an den Wänden kalkulierte Licht- und Schattenfelder in der Manier einer gehängten Ausstellung. Beim Anschalten der Glühbirne entsteht ein dreifacher Kurzschluß, ein kalkulierter Systemabsturz zwischen Galeriebild, Galeriebeleuchtung und Galerieraum: Lichtinstallation, Glühbirne, diverse Spiegel und Pappen, raumvariable Installation.

 

Im Schauraum zur Straße hängt ein graues Tondo an der Wand, das aus dem Fußbodenbelag der Galerie geschnitten und in die Bildebene gebracht wurde. Das zurückgebliebene runde Boden-Passepartout zeigt nun in seinem Ausschnitt den bis dahin verborgenen Parkettboden darunter. Raum und Bild offenbaren ihre gegenseitige Umgebungsabhängigkeit: Wand/Boden, Tondo, PVC, Durchmesser 1,10m, variable Installation.

 

Das „Verte“, im Ausstellungstitel, tritt gleich in drei Arbeiten auf.

 

Das erste „Verte“ erscheint als grüne Flecken in einem lasziv aufgenommenen Frauenakt. Das Körperaquarell läßt die delikate Genrefotografie zerfließen. Er hängt nun dezent, luxarm und leicht zu übersehen an der hinteren Wand des kleinen Galeriebüros, wird quasi unterm Ladentisch verkauft: Verte, Inkjetprint, Körperflüssigkeit, variable Edition 3/1.

 

Das zweite Grün ist ein Kaugummi an der gläsernen Galerietüre, auf deren Rückseite, spiegelbildfüllend, noch einmal dieselbe Kaugummimasse hingeknetet wurde: Chewing-gum, temporäre Installation.

 

Den dritten Grünauftritt gibt es in der Schweizer Zigarettenmarke "Parisienne verte". Die Schachtel steht tatsächlich auf dem Bürgersteig, an die Scheibe der Galerie gelehnt. In ihrem eigenen innenräumlichen Spiegelbild, dieselbe Schachtel noch einmal. Außen potentiell zum Mitnehmen und innen als Spiegelbild. Gegenstand im Spiegelbild, Spiegelbild im Gegenstand. Sobald die volle Schachtel Zigaretten von Passanten mitgenommen wurde, wird das leer werdende Spiegelbild wieder mit einer neuen Schachtel gefüllt: Parisienne verte, Zigarettenschachtel, temporäre Installation.

 

Ein angeschlossenes Fahrradrad lehnt verwaist an der Scheibe der Galerie. Dokument eines Fahrraddiebstahls oder Kunst ? Fahrradrad, Fahrradschloß, temporäre Installation.

 

Draußen vor der Galerie steht ein typischer Pariser Straßenpoller, der sich wie der Kaugummi, die Zigarettenschachtel und das angeschlossene Vorderrad und über sein spiegelbildliche Anwesenheit hinaus durch nochmaliges Vorhandensein im Ausstellungsraum, hervortut: Poller, temporäre Installation.

 

In allen alltäglichen und künstlerischen Produktionen gibt es Schleifen, selbstbezügliche Operationen, Rekursionen und schwierige Unterscheidungen: Polke oder kein Polke, Raum oder Licht, Bild oder Boden, Interieur oder Exterieur, Sex oder Onanie, Selbstreferenz oder Fremdreferenz, wer kann da noch ernsthaft trennen ?

 

Téodora Ramage, Paris im Juli 2012