im kontext von raum, bau und stadt

>Pfütze 2012

1,5 Liter Wasser, 2 Monate lang eingerichtet, Kontext Propyläen München offener Wettbewerb "Kunst im öffentlichen Raum 2013", Erkundungen Orte-Plätze-Räume, München; Projekteingabe November 2012, ausgeschieden

Fritz Balthaus: Pfütze 2012

 Die antike Säulenarchitektur der Propyläen verkörpert die Schwerkraft als aufrechter Bau. Im Wasser der Pfütze spiegelt sich das Gravitätische. Auch die stehende Wasserpfütze verkörpert vollständig die Schwerkraft, denn als ruhende Form ist sie nichts anderes als der griechische Tempel selbst. 

 

>Stilles Wasser, Pfütze in den Propyläen

 

Dem Kontext des repräsentativen Königsplatzes wird ein bescheidenes, heimliches Zentrum anderer Art hinzugegeben. Ein kleiner Wasserspiegel, eine kunstgemachte Wasserpfütze soll für den Zeitraum des Kunstprojektes in den Propyläen hergestellt, vorgehalten und gepflegt werden. Sie soll an diesem Ort die Umgebung widerspiegeln und neue Blicke erzeugen. Mit einen flüssigen Spiegel aus stehendem Wasser, soll den städtischen Gesten an diesem Ort ein nachdenkliches und kritisches Sehen gegenübergestellt werden.

 

Lichte Höhe

 

Die ruhende Pfütze verkörpert die Gegenwelt zum Monumentalen und sieht dem „Hervorragenden“ reflektierend zu. Die Pfütze denkt anschaulich über das Säulenpathos der Propyläen nach und entdeckt nach einiger Zeit, daß sie selbst der Schwerkraft ausgesetzt ist und dabei das „Gravitätische“ nur anders interpretiert. Ihr Wasser fügt sich der Schwerkraft vollständig. In stiller „Gelassenheit“ zeigt sie, was über sie errichtet ist. „Stille Wasser“ sind auch deshalb so tief, weil sie das Hohe in ihrer Tiefe spiegeln. Die „schöne“ Pfütze ist gegenüber dem Wirkungsbewußten, dem Gravitätischen ignorant, die wirkungsarme Lache ergibt sich der Schwerkraft und sieht heiter und erkenntnisfroh in die Höhe.

 

Städtische Weite

 

In diesem Projekt bildet die Pfütze ein leicht aus der Symmetrie gerücktes Zentrum in den Propyläen. Vielleicht so, wie die Zirbeldrüse, die, als einziges asymmetrisches Phänomen am Hirn des Menschen, deswegen als Sitz der Seele verstanden worden war. Aus der Achse tanzend, reklamiert die Pfütze ihre Besonderheit. Die seitwärts fliehenden Kräfte, ihre unkontrollierten Ränder interpretieren die gesamte urbane Umgebungsordnung neu. Den Kreisverkehr am Königsplatz, das gesamte Geschehen in und um die Propyläen herum. Das „ewige“ Akropolis-Ensemble von Karl von Fischer, die dauernden Sammlungen der Museen am Königsplatz und auch der goldene Prachtneubau des Lenbachhauses werden vom „vergänglichen“ Aggregatszustand dieser „Pfützenseele“ kommentiert und relativiert.

 

Soziale und ästhetische Dimensionen

 

Die in den Propyläen Schutz suchenden Obdachlosen, die vielen Touristen an diesem Ort sind Teil des klassizistischen Ensembles und reiben sich sichtbar: der Wind treibt weggeworfenen Papier- und Plastikabfall durch die Propyläen. Das alles denkt die Pfütze. Damit sie das ungestört tun kann und dabei gesehen wird, muß sie selbst täglich neu hergestellt und ihre Umgebung kontinuierlich gereingt werden. Das alles muß geschehen, damit ihre fragile, flüchtige Existenz nicht gefährdet wird. Ihr existenzielles Interesse an sauberer und trockener Umgebung soll sich aber nicht verschlechternd auf die sowieso prekäre Situation von obdachlosen Menschen an diesem Ort auswirken, sondern diese einbeziehen, so sie das wünschen.

 

Werte und Kommunikation

 

Die Pfütze als solche führt die Wertfrage ein, stellt die Frage nach dem eigenen Wert (1,5 Liter stilles Wasser) und die nach gesellschaftlichen Werten. Die große Öffentlichkeit schätzt eine Pfütze noch nicht als bildhauerische Leistung, eher als "das Letzte“ ein und wenn die Wasserlache dazu noch mit einem Kunstbudget ausgestattet wird, ist sie für die meisten ein Skandal. Der darin angelegte Aufschrei der Öffentlichkeit wird in Kauf genommen und bewußt thematisiert, denn diese Empörung beruht auf der Verwechslung von Kunst- und Alltagsregeln, ist also inhaltlicher Teil des Projektes. Für mich als Bildhauer ist die Pfütze eine skulpturale Setzung, die mit minimalsten Mitteln große ästhetische und soziale Fragen aufwirft. Im Veröffentlchungssinne muß dem semantischen Leichtgewicht „Pfütze“ nun auf allen Ebenen Gewicht gegeben werden. Der Auftritt und die Förderung der Wasserlache in einem öffentlichen Kunstwettbewerb und die darin angelegte Aufmerksamkeitsempfehlung für sie, ist genauso vonnöten, wie der täglich zu reinigende Sockel in den Propyläen. Beides, das Wettbewerbsformat und die tägliche Reinigung der direkten Umgebung sind Passepartouts des Zeigens und Hervorhebens. Diese Passepartouts schützen das Ephemere und „Wertlose“ einer Pfütze davor, als reines Alltagsphänomen übersehen zu werden, in dem sie sie in den „marked space“ der Kunst holen. Das muß sein, denn es zeigt auch das Potential von gesellschaftlichen Grenzenziehungen und gibt nötiges Gewicht. Die übermächtigen und wirkungsgewissen Erfolge bei der Betrachtung von repäsentativen Löwenfiguren, machtvollen Symmetrienachsen und Obelisken - als Teil von Städtetourismus - funktionieren bestens und genügen sich auch ohne zeitgenössische Kunst. Dagegen unterläuft die Wasserlache bewußt das Erfolgsprinzip gekannter und deshalb beliebter Blicke und findet außerhalb von Symmetrie, Stein, Städtebau und selbstgewissem Stadtmarketing statt. Allein hat die Pfütze keine mediengängige Form und braucht deshalb eine „Blickführung“ eigener Art. Darin liegt die Herausforderung ihrer Vermittlung. In der aktuellen, zeitgenössischen Kunst generiert Prestige und Geld schon viel zu lange unsere Blicke. Auch dagegen möchte die Pfütze etwas ausrichten.