im kontext von raum, bau und stadt

>Trafo of Art, 2016

Onarte, via San Gottardo 139, Minusio; mit E. C. Aguirre, F. Balthaus, J. Bucher, FORT, S. Henning, D. Hepp, K. Heydekamp, C. Kübler, M. Kummer, O. Mosset, H. Otto, H. Pallanca, C. Piepenbrock, M. & S. Reichenbach, RELAX (chiarenza & hauser & co), A. Sassenroth, U. Seo, K. Spät, A. Wischkony, S. Wittmer, Foto: Friedhelm Hoffmann

Fritz Balthaus: Trafo of Art, 2016

>Trafo of Art

 

…ist als Palindrom vorwärts und rückwärts zu lesen, genauso wie der elektrische Strom am Trafo hin- und hergeht, kann die Kunst hin und her und von vorne und hinten interpretiert werden. Der Ausstellungstitel und seine Lesart durchwirkt die ganze Ausstellung und ihre unterschiedlichen Exponate. Namentlich läßt sich ‘Trafo of Art‘ als ‘Transformator Kunst‘ übersetzen. Wie elektrische Trafos die Energieflüsse von Strom umwandeln, so transformiert das Kunstsystem Alltagsverhältnisse in Deutungsverhältnisse. Im Transformatorenraum Kunst können so Alltagsgegenstände wie Kunstgegenstände gelesen werden. In Kunstnähe geratene Gegenstände laden sich anders auf als im Alltag. Sie bilden sozusagen einen Spannungsbogen, wie die Drahtspulen auf dem eisernen Transformatoren-Ring.

Induktionen und Interpretation sind in diesem Moment gleichgeschaltet.

 

Sobald sich Blumentöpfe von Armin Wischkony, Speiseeis des Künstlerpaares FORT, Matratzen von Claudia Piepenbrock, oder der Auspuffruß von Susanne Henning im ONARTE-Raum befinden, bedeuten sie mehr als ihre vorherige Funktion und bedeuten auch mehr als ihre Form und Materialität. Hier im Ausstellungsraum werden ihre Qualitäten, Aggregatzustände und Bezüge bedeutsam, auch weil sie sich in einer Umgebung befinden, deren Leere sich immer auch an vorherige Kunst erinnert, die in weißen Ausstellungsräumen gestanden hat.

 

Schon in den 60er Jahren hat Brian O’Doherty mit dem Text ’In der weißen Zelle’, begonnen, die Faszination des „White Cube“ zu erfassen und dessen Entzauberung zu betreiben. Aber immer noch scheinen sich Reste von Zauber in diesen Wänden zu befinden, sonst wäre diese Ausstellung hier wohl nicht entstanden.

 

Welche Energie ist es, die aus anderen Systemen kommt und sich hier vor Ort umwandelt? Was geschieht zwischen Eingangsspannungen und Ausgangsspannungen in der Blackbox des Transformators und was geschieht zwischen Eingang und Ausgang des „White Cube“?

Niklas Luhmann würde es wohl folgendermassen formuliert haben: Der Ort an dem wir hier stehen, der weisse Ausstellungsraum, ist ein Teil des „marked spaces“ der Kunst, in dem alles in ihm gezeigte höchstwahrscheinlich Kunst ist. In den Stockwerken unter uns, da wo sich das Autohaus Rivapiana befindet, beginnt bereits der „unmarked space“, der sich im Stadtraum von Locarno fortsetzt und dort immer schwächer und „niedrigvoltiger“ auf Kunst verweist. Die angestammten Institutionen der Kunst, die Museen, Galerien, Kunstakademien und deren Kommunikationsmedien haben den Beweis von Kunst schon immer „hochvoltiger“ antreten können.

 

Die Umgebung spielt also eine wichtige Rolle bei der Interpretation von Kunstwerken, mehr noch, der Kunstkontext selbst ist Teil des Kunstwerks. Dieses Bewußtsein von der Umgebung als wichtigem Teil der Interpretation von Kunst erklärt, warum die meisten der hier ausstellenden Künstlerinnen und Künstler direkt mit dieser Umgebung arbeiten. Mit den Wänden und Böden des Ausstellungsraums, mit dem Licht und der Luft in diesem Raum und sogar mit dem Wetter auf der Terrasse, wie David Hepp es vorführt.

 

In einer Zeiten autonomer Kunstwerke war der Kunstraum noch blinder Fleck hinter Bildern und Sockeln. In der vorliegenden Ausstellung richtet sich das Augenmerk aber gerade auch auf diesen Raum und erhebt ihn ebenfalls zum Kunstgegenstand, Auch das Atelier als Entstehungsort von Kunst wurde in der Kunstpraxis der Gegenwart immer unwichtiger, wie auch die traditionelle Hängung und Aufstellung von herbeigebrachten Werken immer fragwürdiger wurde. Das Künstleratelier wurde abgelöst von der produktiven Arbeit vor Ort, im Ausstellungsraum selbst. Diese Neuorientierung in der Kunstarbeit ist ebenfalls in den 60ern entstanden und hat sich unter dem Begriff „Poststudio Art“ etabliert. Für Kunststudierende und Fortgeschrittene wurde daraus bis heute „learning by showing“.

 

Zusätzlich haben Mails und Einladungsplakate unsere Verabredung an diesem Ort vorbereitet und gerahmt. Die Gewähr, daß hier Kunst zu sehen ist, wird später auch noch von einem Ausstellungskatalog unterstützt werden. Diese Publikation wird ebenfalls eine Komponente des „marked spaces“ Kunst sein und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, daß die Dinge an diesem Ort wirklich Kunst sind. Die Publikation wird diese temporäre Ausstellungssituation noch einmal in eine völlig neue Form bringen.

Wie die Ausstellung hier von ihnen als Besucherinnen und Besucher bewertet wird, steht auf einem anderen Blatt.

 

Außer dem Projektpartner ONARTE, sind die F+F Schule für Kunst und Design Zürich, die Hochschule für Künste Bremen und die Künstler/innen-Residenz Villa Sasso in Vairano wichtige Bewohner des „marked spaces“. Alle haben an den Reglern unseres TRAFOs gedreht. Dafür danke ich Sebastian Fritzsche, Heyer Thurnheer, Stephan Wittmer, Daniel Hauser, Christoph Lang und Patrick Rohner.

 

Ein weiterer Dank geht an die Freunde der Hochschule für Künste Bremen, an die Karin und Uwe Hollweg Stiftung und die Waldemar-Koch-Stiftung Bremen.

 

Fritz Balthaus